Vorbemerkung
Der Auftrag, der uns von der Stadt Wien, namentlich von Stadtrat Christian Oxonitsch, im
Herbst 2010 erteilt worden ist, lautete sinngemäß, herauszufinden, wie Menschen, die
wesentliche Teile ihrer Kindheit und Jugend in städtischen Heimen verbracht haben,
verschiedene Formen der Gewalt in Heimen erfahren und sie seither verarbeitet haben.
Dies sei über die Veröffentlichung unserer Forschungsergebnisse den Bürgerinnen und
Bürgern der Stadt zur Kenntnis zu bringen. Die betroffenen ehemaligen ‚Heimkinder’
seien auf diesem Weg als Opfer illegitimer Gewalt öffentlich anzuerkennen.
Wir haben uns bemüht, diesen Auftrag mit dem folgenden Bericht zu erfüllen. Zunächst
sei kurz erläutert, worin die besondere Schwierigkeit des Auftrags bestand. Die Gewalt-
Erfahrung der Betroffenen nimmt auf zweierlei Bezug: Zum einen drückt sie aus, was
Kinder und Jugendliche in Heimen, die von der Stadtverwaltung erhalten oder beauftragt
wurden, an Gewalt erlitten haben. Zum anderen ist diese Erfahrung nicht abzulösen von
den gesellschaftlichen Verhältnissen. Wie die Gesellschaft Erziehung im allgemeinen
denkt und praktiziert, und wie sie insbesondere in die Erziehung von Kindern aus
mehrfach benachteiligten Familien eingreift, bringt nicht nur Fürsorglichkeit, sondern
auch diverse Formen der Gewalt in Familien, Schulen, Internaten und Kinderheimen
hervor.
Die ehemaligen ‚Heimkinder’, die in unserem Bericht ausführlich zu Wort kommen
werden, sind auf höchst verschiedene Weise den staatlichen, kommunalen, betrieblichen
und familiären Verhältnissen unterworfen, und vor allem dies drückt sich in ihren
Erzählungen, aber auch in ihren körperlichen und psychischen Leiden aus. Es gehört zu
den Effekten einer fördernden und helfenden, aber auch gewaltsamen und zerstörenden
Erziehung, dass genau dieser Zusammenhang – abstrakt: der Zusammenhang zwischen
dem allgemein Sozialen und dem individuell Psychischen – verdunkelt wird. Die
Unterwerfung ist noch am ehesten in den Erzählungen der Betroffenen zu erkennen, etwa
in der von ihnen oft zum hundertsten Mal gestellten Frage: Habe ich eine persönliche
Schuld? Es zählt aber auch zur Tragik der ErzählerInnen, dass sie heute im Rückblick
nicht selten auch ihre eigenen Eltern zu jenen zählen müssen, die ihnen „all dies“ aus
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Unvermögen, aus eigenen Benachteiligungen oder aus welchen Gründen auch immer
angetan haben.
Um erklärende Antworten zu finden, werden wir nicht nur den Verlauf der Kindheit und
Jugend der Betroffenen biographisch rekonstruieren, sondern auch die Geschichte der
Fürsorgeerziehung in Wien, von der diese Menschen ein subjektiver Teil geworden sind.
Unser Bericht soll dazu beitragen, dass diese Geschichte künftig nicht mehr ohne eine
aufgeklärte Bezugnahme auf die Betroffenen erzählt werden kann. Dies wusste oder ahnte
wohl auch der Wiener Bürgermeister Dr. Michael Häupl, als er sein Versprechen gab, die
Leiden ehemaliger Heimkinder zu veröffentlichen und sie – verbunden mit einer
Entschuldigung und einer finanziellen Leistung – als Opfer illegitimer Gewalt
anzuerkennen.
Die hier präsentierten Erzählungen ehemaliger ‚Heimkinder’ zeigen den Einsatz von
verschiedenen Formen der Gewalt in der Fürsorgeerziehung der 1950er, 1960er und
1970er Jahre. Wir fokussieren nicht, wie frühere und jüngste Presse-Kampagnen,
ausschließlich sexuellen Missbrauch, sondern schließen alle Formen der Gewalt ein:
strukturelle, soziale, materiell-ökonomische, körperliche, psychische, sexualisierte und
sexuelle Gewalt. Wir untersuchen Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Heimen vor
jenen umfassenden Reformen, die großteils in den 1990ern durchgeführt wurden, als die
Stadtverwaltung ihre großen Erziehungsheime wie auch die Drehscheibe der
Heimerziehung, die Kinderübernahmsstelle, schloss und zum Teil durch kleinere
Wohngemeinschaften bzw. Krisenzentren ersetzte.
Wir verstehen, dass die Untersuchung der nun schon seit gut zwei Jahrzehnten
vergangenen und überwundenen Verhältnisse in Kinder- und Jugendheimen der Stadt
Wien im Jugendamt immer noch Besorgnisse auslöst. In der Tat können wir nicht
ausschließen, dass unser Bericht von bestimmten politischen Kräften dazu missbraucht
werden wird, ihre Propaganda gegen die vorwiegend von der SPÖ getragene
Kommunalpolitik und Stadtverwaltung Wiens zu intensivieren. Wir distanzieren uns von
jeder parteipolitisch motivierten Polemik. Die heute aktiven Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Wiener Jugendamtes sind nicht schuld an dem, was in den 1950er bis
1980er Jahren in einigen Kinderheimen geschah. Aber sie sind es ihrer heutigen Aufgabe
schuldig, sich auch mit den dunklen Seiten in der Geschichte der Heimerziehung
auseinanderzusetzen.
Wir bedanken uns bei den leitenden MitarbeiterInnen des Jugendamtes für die gute
Zusammenarbeit in der Aktenrecherche. Den MitarbeiterInnen der Wiener Kinder- und
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Jugendanwaltschaft und des Weißen Rings verdanken wir die Herstellung von Kontakten
zu ehemaligen Heimkindern. Fast alle mehrstündigen Narrativinterviews mit ehemaligen
Heimkindern wurden in den Räumen der Kinder- und Jugendanwaltschaft geführt. Ganz
besonders danken wir unseren GesprächspartnerInnen dafür, die Belastung auf sich
genommen zu haben, sich im Lauf von langen Gesprächen an die wohl schwierigste Zeit
ihres Lebens zu erinnern und viele psychisch und physisch belastende Details zur Sprache
zu bringen. Mit ihrem Mut und ihrer Kraft tragen sie nach unserer Überzeugung
wesentlich dazu bei, den Pakt des Schweigens über die Gewalt in Kinderheimen zu
brechen und die Dimensionen der Gewalt konkret vorstellbar werden zu lassen. Wir
danken auch jenen Expertinnen und Experten aus dem Bereich des Jugendamtes und der
Kinderheime, die uns wertvolle Einblicke in ihre Arbeit gegeben haben........
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