DIPLOMARBEIT von Gertrude Czipke - Auszug: Das Jugendamt und das Züchtigungsrecht - Stand aus 1960 vom obersten Gerichtshof - Lehrer, Erzieher, Dienstgeber und Lehrherren haben kein Züchtigungsrecht mehr

  • DIPLOMARBEIT
    Titel der Diplomarbeit
    “Die SchreibmaschinentäterInnen“
    Die Wiener Jugendfürsorge in den Jahren 1945 bis 1970 und ihr Beitrag zur Durchsetzung einer gegen Mädchen, Frauen, “uneheliche” Mütter und deren Kinder gerichteten Geschlechterordnung
    Verfasserin
    Gertrude Czipke

    Angestrebter akademischer Grad
    Magistra der Philosophie (Mag. Phil.)


    Das Jugendamt und das Züchtigungsrecht


    Zitat

    Bei der 6. Tagung der Jugendamtspsychologen, die vom 27. bis 29. Oktober 1959 stattfand, wurde das Thema „Mißhandlung“ diskutiert.
    Eine Fachfürsorgerin berichtet über Misshandlungsfälle in ihrem Bereich und fügt einen Satz an, der offenbar auf allgemein bekannte Umstände rekurriert: Es könne „die Gefahr körperlicher Züchtigung im Heim und der daraufhin zu erwartende Vorwurf der Eltern, nicht völlig ausgeschlossen werden"

    Zitat

    Die offizielle Haltung des Jugendamtes zur Gewalt gegenüber Kindern wird in einer in größeren zeitlichen Abständen herausgegebenen und jeweils neu formulierten Dienst-anweisung (Normale) definiert. Überraschender Weise zeigt die Abfolge dieser Definitionen keine lineare Entwicklung zu mehr Humanität, sondern weist in der Amtszeit von Ourednik als Leiter der Rechtsabteilung nach dem Krieg und mit Bezug auf die Tätigkeit der Strafrechtskommission eine Wendung auf, die der Herstellung eines strafrechtlich ungehemmten Züchtigungsrechtes zu dienen scheint, dessen Einschränkungen nach Ansicht von Ourednik im geltenden Recht von einem „Großteil der Richter“ „zu formal“ ausgelegt werden würden.

    Zitat


    „Als erster Experte berichtete Herr Dr. Ourednik, Jugendamt Wien, über die rechtliche Situation. ...


    Die Anwendung des Strafgesetz § 413 (...wodurch der Gezüchtigte am Körper Schaden nimmt) führte bei einem Großteil der Richter zu einer sehr formalen Auslegung. Danach wäre jede Züchtigung, die körperli-che Spuren hinterläßt als körperliche Mißhandlung zu bestrafen. ... „ Dr. Ourednik sprach die Hoffnung aus, daß sich die Kommission zur Kodifizierung des Strafrechts auch mit dem Begriff der Mißhandlung befassen werde. Er gab dem Wunsch Ausdruck, daß die Teilnehmer der Arbeitstagung zu der inhaltlichen Klärung des Mißhandlungsbegriffes, soweit er Kinder und Jugendliche anbelangt, beitragen mögen. Diesbezügliche Ergebnisse könnten sowohl für den in der Jugendwohlfahrt tätigen, wie auch den mit der Rechtsprechung befaßten Juristen von bedeutender Hilfe sein.“


    Nur aus dem §413 könnte man auch ein Züchtigungsrecht der „Erzieher“ ableiten, es ist die einzige Stelle im damals schon 150 Jahre alten Strafrecht, die einen solchen – falschen -Analogieschluss überhaupt möglich macht."

    Zitat

    ein Referat über „Mißhandlung“, gehalten im Heilpädagogi-schen Seminar der Caritas Wien, wird die Absicht Ouredniks, das Normale aus dem Jahr 1936 im Sinne einer Erweiterung des Züchtigungsrechtes der Erziehungsberechtig-ten umzuformulieren, unterstützt. Der Autor gibt an, auf eine Berufslaufbahn in der Fremderziehung zurückzublicken und für sein Referat acht Experten befragt zu haben. Der Text ist maschinschriftlich mit G. Fibich gezeichnet.
    In dem Band „Verfolgte Kindheit“ wird aus einem Akt von einem „Franz H.“ zitiert, in dem - entgegen den Beurteilungen der Hilfsschule und der Erziehungsberatung (Fibich) - doch noch war Positives vermerkt ist, so dass „Franz H.“, entgegen dem Wunsch der „Erziehungsberatung“, in der Fibich405 zeichnungsberechtigt war, damals doch nicht auf den „Spiegelgrund“ bleiben musste, sondern nach Biedermannsdorf abgegeben wur-de406, Fibich war also „Erziehungsberater“.Im Jahre 1959 wird das Problemfeld Kindesmisshandlung in Anstalten von ihm mit erstaunlicher Offenheit erörtert:



    „Dem gegenüber wird betont, daß
    in den Jahren 1924 bis 1934 im öffentlichen Erziehungsdienst der Stadt Wien auf Verabreichung einer Ohrfeige die Entlassung der betreffenden Erziehungsperson stand, auch, wenn keine Spuren festgestellt wurden. Immerhin galt und gilt nach der vorerwähnten Weisung des Wr. Jugendamtes eine Ohrfeige als Gewaltanwendung und wäre so-mit in diesem Sinne als Kindesmißhandlung anzusehen. Es gibt aber in der Gemeinschaftserziehung noch andere Vorgänge, die körperli-chen und lieblosen Mißhandlungen sehr nahe kommen z. B. übertriebene Frei-übungen wie Kniebeugen, Knien mit Erschwernissen, dann Ohren-Umdrehen, Reißen an den Haaren, wobei es zum Haarausriß kommen kann, ferner langes Stehen auf dem Kalten Gang (sic!) im Nachthemd, unangebracht übermäßig kalte Duschen, das Pflasterkleben auf dem Mund u.a

    Zitat

    Der Vollständigkeit halber wollen wir noch einmal auf die Züchtigung als Strafe bei Kindern und Jugendlichen zurückkommen und dazu die Frage stellen: „Ist Züchtigung überhaupt verboten?“ Die Antwort lautet: „Nein“.
    Nach dem alten Gesetz ist Züchtigung innerhalb der Väterlichen Gewalt – wie es im Gesetz heißt – erlaubt. Verboten ist nach den heute schon genannten §§ die Überschreitung des Züchtigungsrechtes in Form zurückgebliebener Spuren. Umfaßt nun die Heimer-ziehung „Väterliche Gewalt “? Das ist die Frage! Im allgemeinen besteht die Auf-fassung, der Heimleiter hätte diese väterliche Gewalt und ihm wäre die Züchti-gung der Zöglinge erlaubt. Ob das schriftlich festgehalten ist, entzieht sich meiner Kenntnis. ... Dieser Auffassung von der väterlichen Gewalt des Heimleiters folgt zuweilen eine zweite, nämlich, daß der Erzieher gewissermaßen als „verlängerte Hand“ des Anstaltsleiters auch diese väterliche Gewalt inne hat, auch züchtigt, was dann vom Anstaltsleiter pardonniert werden würde oder könnte. Kurzum dies sind Auffassungen, wovon nicht gesagt werden kann, inwieweit sie zurecht bestehen oder nicht....

    Zitat


    Denken wir besonders daran, wenn Kinder in unsere Heime kommen, die zu Hause mißhandelt wurden und für die andere Erziehungsmethoden besonders wichtig sind. Schon deshalb, um diesen Kindern beizubringen, daß sie auch auf anderem Weg zu folgen haben, ohne Schläge zu bekommen. ... Es ist für alle Beteiligten ungeheuer peinlich, wenn im Elternhaus mißhandelte Kinder auch in der Heimer-ziehung wieder mißhandelt werden. In widerlichster Weise werden dann solche Eltern aggressiv gegen Heime und Jugendfürsorge. Ihnen wurden diese Kinder wegen Mißhandlung abgenommen und nun stellen sie fest, daß eben diese Kinder auch im Heim geschlagen werden.
    Wie der am Anfang dieses Abschnitteszitierte Hinweis einer Fürsorgerin aus dem 2. Wiener Gemeindebezirk erkennen lässt, bezieht sich diese Geschichte auf Erfahrungen, die von vielen geteilt wurden.


    [quelle]Aus dem Abschnit: Das Jugendamt und das Züchtigsungsrecht[/quelle]


    Die komplette Diplomarbeit ist zu finden unter [quelle]univie.ac.at[/quelle]



    :tongue_1: Von wegen man wusste nichts :wink_1:





  • DIPLOMARBEIT
    Titel der Diplomarbeit
    “Die SchreibmaschinentäterInnen“
    Die Wiener Jugendfürsorge in den Jahren 1945 bis 1970 und ihr Beitrag zur Durchsetzung einer gegen Mädchen, Frauen, “uneheliche” Mütter und deren Kinder gerichteten Geschlechterordnung
    Verfasserin
    Gertrude Czipke

    Angestrebter akademischer Grad
    Magistra der Philosophie (Mag. Phil.)



    Aus dem Abschnitt Das Jugendamt und das Züchtigungsrecht



    Zitat

    Ein Punkt wäre klarzustellen: Wird ein Erzieher tatsächlich beim Gericht angezeigt, und nicht nur einer internen Kontrollinstanz, mussten andere Paragraphen des Strafgesetzes 1945 [siehe Anhang ]


    zur Anwendung kommen:
    § 420. Erzieher oder Lehrer von beiderlei Geschlecht, die an ihren Zöglingen Mißhandlungen verüben, sind das erste Mal mit Arrest von drei Tagen bis zu einem Monate zu bestrafen; im wiederholten Falle aber nebst der erstbestimmten Strafe fernerhin zu dem Lehramte oder Erziehungsgeschäfte untauglich zu erklären.

    Zitat

    In den Erläuterungen – auf Grund von oberstgerichtlichen Entscheidungen, Stand 1960 heißt es:

    „Lehrer, Erzieher, Dienstgeber und Lehrherren haben kein Züchtigungsrecht mehr; das Züchtigungsrecht anderer Personen (z.B. der Eltern) kann als persönliches Recht auf sie nicht übertragen werden, daher können die gleich den §§ 413 bis 418 auf der Überschreitung eine Züchtigungsrechtes beruhenden §§ 420, 421 heute nicht mehr zur Anwendung kommen.



    [quelle]Seite 115-116[/quelle]